Schwul

14.
Apr
2017

Was bedeutet „schwul sein“? Also, wenn ich das Wort „Schwul“ in eine Suchmaschine eintippe, kommt als Ergebnis: „Schwul = Homosexuell“ und die darauffolgenden Seiten sind mitunter abwertend.

So folgen gewisse Artikel über Promis oder Quizze in denen Mann testen kann, ob man nun schwul sei oder nicht.

Aber was bedeutet „schwul sein“? Für mich persönlich bedeutet es, dass ich Männer attraktiv finde. Das ist nicht gleichbedeutend mit „ich liebe alle Männer“ auch wenn das viele Heterosexuelle denken und – oft unberechtigt – um ihre Unschuld fürchten. Auch als schwuler Mann hat man Vorlieben und Interessen.

Ich habe früh gemerkt, dass ich Schwul bin. Männer haben mich schon immer mehr fasziniert als Frauen. Der Körperbau, die Körperform und die Behaarung. In der Pubertät hoffte ich auf einen Bauchstrich, auch genannt „Straße zum Glück“. Dieses war für mich ein Zeichen purer Männlichkeit. Als dann die ersten Haare sprossen, wurden sie auch schon wieder abrasiert.

Unter meinen Freunden konnte ich so sein wie ich war, ich musste mich nicht verstellen, doch die wussten ja nicht das ich schwul war. In der Öffentlichkeit stellte ich mich als Hetero da, den das war „normal“. In Hochglanzzeitschriften schaute ich mir die Mädchen an und fragte mich, was Mann wohl daran findet. Ich redete über Mädchen und Frauen in der Schule, schrieb Liebesbriefe und schaute Mädchen auf dem Pausenhof nach.

Alle diese Dinge und Kleinigkeiten tat ich, um nicht aufzufallen. In meiner Generation war „schwul sein“ doof oder schlimmer noch: eklig und abartig, teilweise sogar mit Pädophilie gleichgesetzt. Menschen, die schwul waren, mussten einem leidtun. Am Ende tat ich mir selbst leid, denn ich war schwul. Eines Tages fasste ich meinen Mut zusammen und fühlte mich richtig gut, gut genug, dass ich es Jemanden sagen konnte.

Also outete ich mich in meinem Freundeskreis. Zu meiner Verwunderung stieß ich nicht auf Verständnis, sondern auf Distanz. So hieß es: Ich könne ja schwul sein, aber müsste es ja nicht sagen, meine Art müsse ich ja niemanden zeigen und so weiter. Natürlich ging es meinen Freunden nur um mich, denn ich war ja anders, aber Schwule sind sonst immer so furchtbar. Wenn ich mich oute, so können sie sich nicht mehr mit mir treffen, denn sie liefen Gefahr, selbst als schwul verdächtigt zu werden.

Ich war anders, das merkte ich schnell. Meine Freunde distanzierten sich immer mehr von mir. Plötzlich war ich sehr alleine, die anfängliche Euphorie und Kraft war weg. Ich wollte es für mich behalten und niemanden mehr sagen. So ging das eine Weile.

Aus Richtung der Eltern kamen immer wieder Fragen: Wann ich meine Freundin vorstellen würde und hätte ich schon ein Mädchen kennengelernt? Ich lächelte und verneinte, die Richtige sei mir noch nicht über den Weg gelaufen. Ich war so überzeugend, dass ich schon fast selbst daran glaubte.

Es brodelte in mir. Wieso konnte ich es Niemanden sagen? War ich denn so alleine? Ich war doch kein anderer Mensch als vorher. Nur eben schwul und keiner wusste es. Es engte mich ein, es war für mich als ob ich log. Mich selbst verleugnete. Aber ich belog ja niemanden: Wenn mich jemand gefragt hätte, dann hätte ich gesagt, dass ich schwul bin. Es ging nur eben niemand davon aus, denn es war ja nicht normal.

Durch die schlechte Erfahrung mit meinen Freunden traute ich mich nicht, meinen Eltern das zu sagen. Ich schaute mir Informationsmaterial an: Demos und Dokus über Schwule halfen mir da wenig, denn die zeigten „schwul sein“ anders, als ich war: Ohne rosa, ohne Plüsch und nicht bunt. Ich schminkte mich nicht und ich verkleidete mich auch nicht als Frau. So wurden „sie“ aber dargestellt, die Schwulen. War ich denn überhaupt schwul – wenn ich doch so anders war?

Irgendwann hielt ich es nicht mehr aus, ich musste es wissen. Ich traf mich mit einem schwulen Mann im Wald alleine. Natürlich war das nicht ganz ungefährlich, aber es sollte ja niemand mitbekommen. Der Schwule war so gar nicht wie im Fernsehen: Er war nett und nicht überdreht. Und ich begriff, dass es solche und solche gibt. Mit neuem Mut verkündete ich meinen Eltern, dass ich schwul bin. Sie waren geschockt, traurig und irritiert. Sie redeten von einer Phase. Es würde vorbeigehen. Es ging nicht vorbei und mit der Zeit gewöhnten sie sich daran und sie merkten, dass ich kein anderer Mensch war als vorher. Aber ich merkte etwas, denn ich war frei.

Was bedeutet „schwul sein“? Für mich bedeutet es, so zu leben, wie ich es möchte, meine Liebe zu finden, die ich mir erwähle, frei in meinem Handeln und in meinem Herzen zu sein.